Vorratsdatenspeicherung, die unendliche Geschichte

Vorratsdatenspeicherung, die unendliche Geschichte

Die Geschichte der Vorratsdatenspeicherung ist eine Geschichte voller… nein, nicht Missverständnisse, das wäre ja noch okay, es ist eine Geschichte voller Grundrechtsverletzungen. Es kommt 2007 ein Gesetz, das Bundesverfassungsgericht kippt es dann 2010. Der Europäische Gerichtshof kippt dann 2014 die zugrunde liegende EU-Richtlinie und es kommt 2015 ein neues Gesetz zur VDS – welches das Bundesverfassungsgericht möglicherweise wieder kippen wird.

Das Thema Vorratsdatenspeicherung beschäftigt uns in der EU schon seit über 10 Jahren und es ist immer noch kein Ende in Sicht. Im Zuge der Einführung konnte die damals noch junge Piratenpartei erste Erfolge erzielen, mit dem Thema konnte man tatsächlich Leute auf die Straße bringen und auch Wähler gewinnen. Und alle, die darin einen unzulässigen Eingriff in die Grundrechte der Menschen sahen, wurden in dieser Auffassung vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) bestätigt.

Während das BVerfG 2010 das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung kippte, hat der EuGH dann 2014 die europäische Richtlinie für unvereinbar mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erklärt.

BVerfG und EuGH

Zwar haben beide Gerichte eine Speicherung von Kommunikationsdaten nicht grundsätzlich ausgeschlossen, die Hürden dafür aber recht hoch angesetzt. Immerhin lassen sich aus den zu speichernden Metadaten recht umfangreiche und aussagekräftige Profile über Einzelpersonen anfertigen: Wer hat wann, mit wem, wie lange kommuniziert und wo haben sich die Kommunikationspartner dazu aufgehalten.

Mit diesen Daten kann man Bewegungsprofile ebenso erstellen, wie auch die persönlichen Netzwerke einzelner Personen. Entsprechende Beispiele finden sich im Netz reichlich, zu den besten gehört die Aufbereitung der Zeit. Der Grünenpolitiker Malte Spitze stellte der Zeit seine Vorratsdaten über einen Zeitraum von sechs Monaten zur Verfügung, die er bei der Telekom eingeklagt hatte. Diese Daten wurden aufbereitet und mit Informationen aus frei verfügbaren Quellen zusammengeführt und zeichnen ein sehr genaues Bild der Aktivitäten von Malte Spitz in dieser Zeit.

Mit etwas Phantasie kann man sich ausmalen, wie weit das noch gehen kann, wenn die Kommunikationsdaten ein wenig genauer ausgewertet würden, also nicht nur wie oft und ggf. wie lange kommuniziert wurde, sondern eben auch mit wem.

Aktuelles Gutachten

Und trotz dieser eindeutigen Ansagen von BVerfG und EuGH, trotz der Kritik von Netzpolitikern und Datenschützern aller Parteien, wurde im Herbst 2015 in Deutschland ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verabschiedet. Gegen dieses Gesetz sind eine ganze Reihe von Verfassungsbeschwerden eingereicht worden: Einzelpersonen, Verbände und Parteien halten das Gesetz erneut für verfassungswidrig.

Auch SPD-Mitglieder legten Beschwerde ein, obwohl die eigene Bundestagsfraktion diesem Gesetz zugestimmt hatte. Und damit liegt die Entscheidung wieder beim BVerfG und nicht nur die Beschwerdeführer rechnen sich gute Chancen aus, dass das Gericht auch diese neue Variante des Überwachungsgesetzes kippen wird, auch der zuständige Fachbereich der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags kommt zu dem Ergebnis, dass das Gesetz nicht den Vorgaben des EuGH entsprechen würde und damit vom BVerfG wieder kassiert würde.

Wörtlich heißt es in dem Gutachten:

Dieses Gesetz erfüllt nicht die Vorgabe des EuGH, dass bereits die Speicherung von Vorratsdaten nur bei Vorliegen des Verdachts einer schweren Straftat zulässig ist.

Dieses Gutachten wurde von der Fraktion der Linkspartei in Auftrag gegeben. Die können das, denn die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags sind genau für solche Aufgaben da:

Die Wissenschaftlichen Dienste stellen mit ihren zehn Fachbereichen ein wichtiges Informationszentrum des Deutschen Bundestages dar, das den Mitgliedern des Deutschen Bundestages bei der Ausübung ihres Mandates Hilfestellung leisten und sie beraten soll. Sie recherchieren und analysieren Informationen im Auftrag der Abgeordneten und der Gremien und reduzieren die enorme Informationsflut auf das Wesentliche. Aufbereitet in Form von umfangreichen Ausarbeitungen und Dokumentationen oder als Kurzinformationen stellen die Wissenschaftlichen Dienste Sach- und Fachwissen in einen politischen und gesellschaftlichen Kontext. Die Arbeitsgebiete der zehn Fachbereiche umfassen alle Politikfelder und orientieren sich am Zuschnitt der Parlamentsausschüsse und Bundesministerien.

Frühere Gutachten

Welche Frage sich jetzt stellt, dürfte klar sein: Warum zum Teufel wurde nicht vor Verabschiedung des Gesetzes beim zuständigen Wissenschaftlichen Dienst nachgefragt, wenn die doch genau für solche Sachen da sind? Die Antwort darauf könnte zu vermehrter Politikerverdrossenheit führen, denn es wurde nachgefragt und es wurden sogar zwei Gutachten erstellt, bevor das Gesetz verabschiedet wurde, einmal bezüglich der deutschen und einmal bezüglich der europäischen Rechtslage.

Bei Netzpolitik.org kann man diese beiden Gutachten einsehenebenso eine Zusammenfassung. Die ganz kurze Fassung: Es wurde 2015 im Eiltempo ein Gesetz durchgedrückt, das die eigenen Experten des Bundestages zumindest in Teilen für nicht verfassungskonform hielten. So kann man sich auch eine Klatsche mit Ansage abholen.

Wenn nun also das BVerfG erneut über die Vorratsdatenspeicherung zu entscheiden hat, dann dürfte die Entscheidung sehr wahrscheinlich wieder gegen das Gesetz und für den Schutz der Grundrechte ausfallen – überraschen dürfte es nicht. Aber wir können damit rechnen, dass dann mindestens die (Un-)Sicherheitspolitiker der Union, möglicherweise auch der ganzen Koalition wieder in ein Mimimi einstimmen, das vom angeblichen Schaden für die innere Sicherheit, Defizite bei der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten und ganz  sicher auch eine Schwächung des Kampfes gegen den Terrorismus handelt.

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, wird dann wieder durch die Talkshows tingeln und Horrorgeschichten von den bösen Juristen erzählen, die den armen Polizisten grundlos die Arbeit erschweren würden (an der Stelle mag man sich fragen, warum der immer noch eingeladen wird, immerhin ist die Gewerkschaft der Polizei deutlich größer). Um das zu sehen muss man kein Hellseher sein, es ist ja nur eine weitere Wiederholung.

Politik(er)verdrossenheit

Der ein oder andere hat es vielleicht schon mitbekommen, aber dieses Jahr stehen mal wieder ein paar Wahlen an. Welchen Effekt dürfte es auf politisch auch nur halbwegs interessierte Wahlberechtigte haben, wenn das BVerfG mal wieder ein Gesetz als verfassungswidrig kassiert und das ein weiteres Mal schon vor der Verabschiedung des Gesetzes absehbar war? Kaum zu einer höheren Wahlbeteiligung und wenn doch, dann wird sich diese wohl wieder an den extremen Rändern des Parteienspektrums durch Stimmenzuwächse zeigen, vor allem am rechten Rand.

Und das wäre dann schon irgendwie lustig, wenn es nicht so gefährlich wäre: Aufgrund von Frust über Politiker, deren Gesetze regelmäßig und absehbar als grundgesetzwidrig vom BVerfG gekippt werden, werden dann aus Protest solche gewählt, die das Grundgesetz am liebsten einstampfen und das BVerfG entmachten würden.

via Mitteldeutsche Zeitung

Crosspost von Mobile Geeks – weil es hier eben auch passt 🙂

Autor: Carsten Dobschat

Geboren 1974, links-liberal, früher Mitglied der SPD und Jusos, dann lange parteilos, später Piratenpartei, wieder parteilos und seit November 2016 wieder SPD-Mitglied - wenn auch mit Bauchschmerzen, aber man muss ja schließlich was tun gegen den Rechtsruck.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert