Kein Bock auf Realität bei der SPD

Kein Bock auf Realität bei der SPD

Ehrlich jetzt, es macht mich traurig, was aus der SPD geworden ist. Früher™ war die SPD mal die Partei der sozialen Gerechtigkeit, da ging es darum das Leben der Menschen zu verbessern. Und dann kam Schröder, kam Hartz IV und aus der SPD wurde die Partei der lebensfernen Abgehobenheit. Traurig. Klang ja durchaus gut, was man da wollte: Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegen, um Verwaltungskosten zu sparen und „Fördern und Fordern“ klingt ja auch erstmal nicht verkehrt. Relativ schnell wurde klar, dass das mit dem Fördern nur so deswegen gesagt wurde, weil „Fordern und immer mehr Fordern“ zwar der Realität entspricht, aber eben auch äußerst unpopulär klingt. Aber kein Gesetz, nicht mal Hartz IV, ist so schlecht, dass SPD-Minister da nicht noch Ideen hätten, sie noch schlechter zu machen.

Aus dem Ministerium von Andrea Nahles (SPD und – jetzt nicht zu laut lachen – Bundessozialministerin) kommt nun ein Werk mit dem Namen „Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung“ und es wird schon im Titel gelogen. Rechtsvereinfachung. Na dann schauen wir doch mal, wo da die „Vereinfachung“ ist bei dem idiotischen Plan, Alleinerziehenden, die auf Hartz IV angewiesen sind, die Tage, in denen die Kinder beim anderen Elternteil sind, von deren Geld abzuziehen.

Die Juristin Maria Wersig hat das in einem Interview im Tagesspiegel mal kurz vorgerechnet:

Für ein Kind von 12 Jahren sind in Hartz IV 270 Euro im Monat vorgesehen, das ist schon ein sehr geringer Betrag. Das wird dann durch 30 geteilt, um den Tagessatz zu erhalten, neun Euro. Sie können sich ausrechnen, was aufläuft, wenn ein Kind an vier Wochenenden nicht im Haushalt seiner Mutter ist.

Tolle Idee. Nicht. Als würde nicht ein großer Teil der Kosten für die Lebenshaltung der Kinder anfallen, ganz unabhängig, ob sie gerade beim anderen Elternteil (meist der Vater) übernachten oder nicht. Ein Telefon wird monatlich bezahlt, die Miete, Klamotten werden auch nicht tageweise angeschafft, Mitgliedsbeiträge in Vereinen ebenfalls nicht usw.

So muss dann also eine auf Hartz IV angewiesene, alleinerziehende Mutter (und in den meisten Fällen sind es Mütter) mal eben nachrechnen, wie viele Tage Aufenthalt beim Vater sie sich für ihr Kind leisten kann. Das gibt mit Sicherheit vieles, aber ganz sicher keine Vereinfachung. Streit beim Umgangsrecht ist vorprogrammiert, dazu dann mit Sicherheit diverse Diskussionen um die anzurechnenden Tage. Nach allen Erfahrungen im Zusammenhang mit Hartz IV – die ich glücklicherweise nicht selbst machen musste, aber Menschen, die mir nahe stehen – sehe ich da tolle Diskussionen auf die Mütter zu kommen: „Na das Kind wurde doch Freitag mittag direkt von der Schule vom Vater abgeholt und kam erst Sonntag Abend wieder zu ihnen, das sind ja eigentlich drei und nicht zwei Tage, weil das Kind ist ja Freitag früh in die Schule gegangen“. Und erzähl mir keiner, dass so was lebensfern wäre – wenn die in den Jobcentern eines können, dann lebensfern um jeden Cent Auszahlung feilschen.

Statt einfach zu akzeptieren, dass solche Familiensituationen einen gewissen Mehrbedarf mit sich bringen und im Sinne der Kinder eine Lösung zu suchen, die  beide Elternteile zumindest nicht weiter belastet (von einer Entlastung mal gar nicht zu reden), denkt man sich so ein weltfremdes Konstrukt aus, welches auch noch zu einem höheren Verwaltungsaufwand führen wird – schließlich muss ja jemand das alles berechnen und prüfen.

Ständig wird gejammert, wir Deutschen bekämen zu wenig Nachwuchs – und dann wird so eine Politik gemacht, die alles dafür tut, dass man sich lieber mehrmals überlegt, ob man Kinder bekommt. Beziehungen, ja selbst heilige Ehen haben keine Ewigkeitsgarantie. Und als Alleinerziehende steht man dann erstmal blöd da, hat oft keine Möglichkeit zu arbeiten, weil man eben auch für die Kinder da sein muss und daher nicht die oft geforderte zeitliche Flexibilität für Teilzeitjobs bieten kann, von einer Vollzeitstelle ganz abgesehen. Und statt sich nun zu überlegen, wie man es Alleinerziehenden leichter machen kann, denkt man sich solche Knüppel aus, die man ihnen zwischen die Beine wirft.

Ganz toll gemacht, Frau Nahles, ganz toll, Sie haben das Problem ja nicht, sie kommen mit ihrem Gehalt als Ministerin sicher prima über die Runden und können sich alles leisten, was nötig ist, um als alleinerziehende Mutter berufstätig sein zu können. Vielleicht sollte die Frau Ministerin einfach mal einen Monat versuchen, mit dem Hartz IV Regelsatz auszukommen – dann hätte sie eine Vorstellung davon, wie es den Menschen geht, für die sie ja eigentlich Politik machen sollte…

Aber stattdessen macht Frau Nahles lieber das weiter, was die SPD seit Schröder am besten konnte: Politik weit abseits der Lebenswirklichkeit ihrer früheren Wähler, die mit sozialer Gerechtigkeit in etwa so viel zu tun hat, wie die AfD mit der Wahrheit

Beitragsfoto von MadalinIonut, Lizenz: CC0 Public Domain

Autor: Carsten Dobschat

Geboren 1974, links-liberal, früher Mitglied der SPD und Jusos, dann lange parteilos, später Piratenpartei, wieder parteilos und seit November 2016 wieder SPD-Mitglied - wenn auch mit Bauchschmerzen, aber man muss ja schließlich was tun gegen den Rechtsruck.

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